Nein, bei dem auf Apple TV+ erschienenen „Tetris“-Film synchronisieren keine Schauspielerinnen und Schauspieler herabfallende Blöcke. Der Film erzählt vielmehr die Entstehungsgeschichte eines weltweiten Puzzle-Phänomens nach. Herausgekommen ist eine solide True Story-Adaption, die von den echten Menschen hinter dem Spiel erzählt und für kommende Videospielverfilmungen hoffentlich Signalwirkung hat.

Las Vegas, Japan, London, Moskau. Die Reise, die Spieleproduzent Henk Rogers (Taron Egerton) in den 1980er-Jahren für sein Unternehmen Bullet Proof Software unternimmt, um die weltweiten Rechte an dem russischen Computerspiel „Tetris“ zu bekommen, ist ähnlich verworren wie die Lizenzierung des Games selbst. Arcade, Computerspiel, Handheld, jede Plattform hat ihre eigenen Regeln. Und wer jetzt genau welche Lizenz für welches Abspielgerät hat, ist für Henk zu Beginn genauso unklar wie für die Zuschauer. Nach sehr experimentierfreudigen Interpretationen wie dem Film „Battleship“ (2012) mit Popstar Rihanna zum Spiel „Schiffe versenken“ konnte man lange Zeit nur erahnen, was sich überhaupt hinter einer Verfilmung zu „Tetris“ verbergen könnte. Und dass gerade die Hatz nach den Verwertungsrechten von einem Computerspiel mal eine brauchbare Filmadaption abgeben würde, damit hätte vor zehn Jahren wohl kaum einer gerechnet.
Regisseur Jon S. Baird ist gemeinsam mit seinem Drehbuchautor Noah Pink jedoch eine flotte Dramedy gelungen, die dank einer gelungenen Performance von Hauptdarsteller Taron Egerton, zahlreichen inhaltlichen wie inszenatorischen Anspielungen auf Videospiele und einer sakralen Enthüllung des Game Boy als Game Changer für Publisher Nintendo genug Unterhaltung für zwei Stunden bietet. Dazu kommt eine fast schon unglaubliche Verwicklung des russischen Geheimdienstes KGB in den Vermarktungsstreit, über die der echte Henk Rogers und Tetris-Erfinder Alexey Pajitnov unter anderem im Jahr 2014 in einem Interview im Guardian berichteten.
Bausteine für ein neues Filmgenre
Genug Zündstoff für den Film ist also vorhanden. Da wiegt es nicht so schwer, dass der Lizenz-Kauderwelsch irgendwann für rauchende Köpfe beim Publikum sorgt und der Film durch seine zahlreichen Sprünge durch Zeit und Raum an Struktur verliert. „Tetris“ ist als Film eine grundsolide Arbeit, nicht mehr und nicht weniger.

Dass die Videospieladaption dennoch eine herausragende Position innerhalb des Genres einnimmt, liegt so oder so nicht an der Qualität des Films, sondern an der Prämisse an sich. „Tetris“ steht mit seiner auf wahren Begebenheiten basierenden Behind the Scenes-Geschichte nicht in der Tradition klassischer Computerspielverfilmungen wie „Prince of Persia“ (2010) oder „Sonic the Hedgehog“ (2020), die eine Story innerhalb der Spielwelt nacherzählen. Und auch mit mehr oder weniger originärem Kino wie „Pixels“ (2015) mit Adam Sandler oder dem Animationsfilm „Ralph reichts“ (2012) hat das Werk nichts gemein. Selbst Produktionen wie „Bandersnatch“ (2018) oder „Ready Player One“ (2018) basieren trotz Ähnlichkeiten nicht oder nur lose auf wahren Begebenheiten. Ganz nah ran kommt nur die auch noch sehr junge Verfilmung „Pinball: The Man Who Saved the Game“ (2022), die die wahre Story von Roger Sharpe erzählt, der in den 70er-Jahren ein 35 Jahre altes Verbot von Flipperautomaten in New York City auflöste. Flipper sind aber etwas andere Daddelkisten. Daher ist „Tetris“ wohl das erste Videospiel-Biopic.
Nacherzählungen zu Entwicklungsprozessen von Spielen und Konsolen waren bisher die Aufgabe von aufwendig produzierten Dokumentationen wie „Indie Game: The Movie“ (2012), „The King of Kong“ (2007) oder Video Game Essays auf YouTube. Für einen Spielfilm schien die hohe Informationsdichte bisher zu trocken gewesen zu sein. Es ist daher mutig für einen großen Streamingdienst wie Apple, einer dialoglastigen Hintergrundgeschichte aus der Videospielbranche eine große Bühne zu bieten. Wobei der inszenatorische Ansatz keine Weltneuheit ist. Apple konnte sich in den vergangenen 15 Jahren genau anschauen, wo und wann ähnliche Filme über digitale Entwicklungen erfolgreich waren.
Mehr Biopic als Videospielverfilmung
Den Nährboden für Tetris legten Filme wie „The Social Network“ (2010) von David Fincher oder „Steve Jobs“ (2015) von Danny Boyle, die persönliche Schicksale von Unternehmerpersönlichkeiten mit digitalen oder technischen Entwicklungen verknüpften. Auch beim Thema Wirtschaft und Finanzen gab es in den vergangenen Jahren mit „Margin Call“ (2011) oder „The Big Short“ (2015) durchaus erfolgreiche Versuche, eigentlich komplizierte Sachverhalte wie die Börse oder den Immobilienmarkt einem Mainstream-Publikum näherzubringen.

„Tetris“ ist in diesem Sinne also auf keinen Fall ein erstmaliges Experiment. Für Videospielverfilmungen darf aber dennoch die Hoffnung bestehen, dass dieses Kino Schule macht. Ein Spiel über Kayne West, hinter dem ein Rekrutierungsprogramm für einen Kult versteckt sein soll, das Begräbnis von unzähligen Modulen des Computerspiels „E.T.“ in der Wüste von New Mexico, das teilweise sogar schon in Filmen und Serien behandelt wurde: Ja, selbst die 2023 noch laufende Übernahme des Unternehmens Activision Blizzard durch Microsoft bietet womöglich Stoff für einen spannenden Filmabend.
Viele unglaubliche Geschichten aus der Videospielbranche verdienen es, einem großen Publikum gezeigt zu werden. Sollte „Tertis“ rückblickend dafür der Stein des Anstoßes gewesen sein, hätte die Marke mal wieder Pionierarbeit geleistet.