Videospiele zu Kinofilmen oder auch Fernsehserien haben einen langen, aber meist nicht unbedingt erfolgreichen Weg hinter sich. Und eigentlich gibt es solche Spiele doch kaum noch. Oder doch? Über den kuriosen zweiten Frühling einer totgeglaubten Computerspielgattung.

Auf der Instagramseite der amerikanischen Kleinstadt Alamogordo reihen sich Bilder eines Museums zur Raumfahrtgeschichte an Aufnahmen der weltweit größten Pistazie. Beim Durchscrollen des Feeds ist nicht zu erahnen, dass an diesem unscheinbaren Ort im Bundesstaat New Mexico vor über 40 Jahren beinahe die Geschichte von Videospielen zu Filmen ein Ende gefunden hätte. Und doch sind Alamogordo und die Popkultur eng miteinander verwoben. 1983 ließ der Spielehersteller Atari hier im Bereich einer Mülldeponie unzählige Computerspielmodule vergraben, wie unter anderem die New York Times damals berichtete. Darunter befanden sich auch viele Exemplare des Spiels „E.T. – Der Außerirdische”, die erst im Jahr 2014 medienwirksam ausgebuddelt wurden. Ein Game zum erfolgreichen gleichnamigen Film, das fand nicht nur Atari einst toll, sondern auch Steven Spielberg, der Regisseur des Films. Die unter Zeitdruck zusammengeklatschte Adaption entpuppte sich aber schnell als ein wortwörtliches Millionengrab und gilt bis heute als eines der schlechtesten Videospiele überhaupt. Ein filmreifer Abgang von Spielen zu Kinoabenteuern schien vorprogrammiert. Es sollte anders kommen.
Videospiele zum Film waren überall
„Indiana Jones”, „Aladdin”, „Batman Begins”, „Hör mal, wer da hämmert”. In den 80er-, 90er- und frühen 2000er-Jahren kamen fast keine Kinofilme oder Serien ohne eine meist zeitgleich erscheinende Daddeladaption auf den Markt. Mit meist, so heute der Tenor, mäßigem Erfolg. Auf durchaus gute Vertreter wie „GoldenEye 007” (1997) und „Peter Jackson’s King Kong” (2005) folgten mindestens ein Dutzend Totalausfälle. Spiele zu Filmen waren so gut wie nie up to date und den Leinwandabenteuern selten ebenbürtig. Wie auch? Der Film gab den Takt vor, das Spiel hatte zu spuren. Auch wenn das bedeutete, dass zum Kinostart kein fertiges oder durchdachtes Game im Laden stand.
Wer auf der Internetseite Metacritic, einer Sammelstelle für Videospielkritiken und Bewertungen, eine Liste der schlechtesten Spiele aller Zeiten anklickt, der entdeckt unter den 100 Spielen mit den niedrigsten Bewertungen über 25 Spiele zu Filmen und Fernsehshows. Darunter Perlen wie „3 Engel für Charlie” (2003), „Rambo” (2014) oder „Ghostbusters” (2016). Unter den besten Spielen aller Zeiten finden sich dagegen nur zwei Lizenzversoftungen: „Golden Eye 007” und Rocksteadys „Batman: Arkham City” (2011), das aber nicht als klassische Film- oder TV-Adaption bezeichnet werden kann. Spiele zum Film haben keinen guten Ruf – und dafür auch immer wieder Argumente geliefert.
Trotz allem verteidigen die Games zunächst ihren prominenten Platz im PC- und Konsolenkosmos. Ab etwa 2012 ist es dann aber ein Sterben auf Raten. Das zeigt sich schon an der Berichterstattung. Das Magazin Wired titelte 2013 „Why Games Based on Movies Disappeared (And Why They’re Coming Back)” und nahm gleich schon ein erneutes Comback vorweg. 2015 wollten interessierte User auf Reddit wissen, was aus den sogenannten Movie-Tie-In Spielen geworden ist („Why Games Based on Movies Disappeared […]”) und seit 2019 kann fast jährlich auf Seiten wie ScreenRant („Why Movie Tie-In Video Games Disappeared (& Why That’s a Good Thing)”) oder Gamelust („What Ever Happened To Movie Tie-In Games?”) ein Artikel gefunden werden, der sich wahlweise mit dem Tod oder Verschwinden der Videospiele zum Film beschäftigt.
Das langsame Sterben der Filmversoftungen
Der Eindruck einer ausgestorbenen Gattung kommt nicht von ungefähr. Eine Liste zu Spielen von Filmen bei Wikipedia zählt allein für das Jahr 2005 23 direkte Adaptionen von Kinoproduktionen auf. Zwischen den Jahren 2017 bis 2022 sind es dagegen nur noch 14. Mit einem rapiden Abfall im Verlauf der Jahre. Auch eine andere – nicht offizielle – Liste der Filmplattform Imdb zählt für die vergangenen fünf Jahre nur knapp zehn Games zu Kinofilmen im gleichen Jahr. Beide Listen sind nach einer stichprobenartigen Überprüfung nicht vollständig, eine Tendenz aber klar zu erkennen.
„Gefühlt ist der Trend, Videospiele zu Blockbusterfilmen zu bringen, schon eine ganze Weile lang vorbei”, sagt Jamie Russell, Autor des Buchs „Generation Xbox: How Videogames Invaded Hollywood”. Russell hat sich intensiv mit der Geschichte der Movie Tie-In-Games beschäftigt, die gerade zum Ende des letzten Jahrtausends Studiobosse in Hollywood zum Träumen brachten. Grund für den langsamen Niedergang 25 Jahre später seien vor allem die steigenden Kosten für AAA-Games, erklärt er. Viele Filmstudios hätten in den letzten Jahren ihre eigenen Spieleabteilungen geschlossen, um Kosten zu sparen. „Heute ist es für Filmstudios leichter und weniger risikoreich, für Fortnite einen neuen Skin aus einem Film zu lizenzieren, als ein ganzes Spiel zu entwickeln.”
Die Spieleindustrie hat verstanden, dass sie nicht mehr auf Hollywood angewiesen ist.
Jamie Russell, Autor – Generation Xbox: How Videogames Invaded Hollywood
An ein Ende der Movie Tie-Ins glaubt Jamie Russell jedoch nicht. Nur, die Kräfteverhältnisse hätten sich verschoben: „Früher kauften Hollywoodstudios Spieleentwickler auf, heute verleibt sich Nintendo ein Filmstudio ein.” Die Umsätze der Spieleindustrie haben die von Filmen schon längst überholt und eine der meist besprochenen Fernsehserien 2023 ist „The Last of Us”, das auf einem Videospiel aus dem Jahr 2013 basiert. Lizenzversoftungen wie „Alien: Isolation” (2014) von Creative Assembly oder „Marvel’s Spider-Man” (2018) von Insomniac erscheinen nicht mehr parallel zu einem Kinofilm, sondern verfolgen ihre eigenen Ziele – wirtschaftlich und erzählerisch. Während Blockbuster nach der Pandemie laut Russell um ihre kulturelle Relevanz kämpfen müssen, scheinen Spiele weiter im Aufwind zu sein. „Die Spieleindustrie hat verstanden, dass sie nicht mehr auf Hollywood angewiesen ist.”

Comeback in ungewohnter Form
Und verschwunden sind Adaptionen von großen Leinwandabenteuern tatsächlich nicht. Vielmehr haben sie sich in den letzten fünf bis zehn Jahren in drei verschiedene Richtungen entwickelt: Relativ klassische Movie Tie-Ins wie „DC League of Super-Pets: The Adventures of Krypto and Ace” (2022) oder „Jumanji: The Video Game” (2019), die sich stark an der Ästhetik des jeweiligen Films orientieren und zeitnah zum Kinostart erscheinen. Lizenversoftungen wie „Blair Witch” (2019), die sich visuell am Film orientieren, aber erzählerisch und zeitlich meist unabhängig von der Vorlage entstehen und derzeit einen Großteil der Adaptionen ausmachen. Und zuletzt die wohl interessantesten Vertreter der Gattung, da sie auf den ersten Blick nicht wie klassische Filmversoftungen aussehen: Pixelbuster. „Stranger Things 3: The Game” (2019) oder „Space Jam: A New Legacy – The Game” (2021) erinnern mit ihrer Pixelgrafik eher an Retroklassiker aus dem letzten Jahrtausend als an aktuelle Games zu Blockbustern. Kurioserweise haben sie dadurch aber viel mit den ersten Movie Tie-Ins vor 40 Jahren oder zahlreichen Handheldspielen auf dem Game Boy oder Game Boy Advance gemeinsam. Die großen Studios, die damals an der Entwicklung beteiligt waren, haben sich aber teilweise zurückgezogen. Sogenannte Demaster sind heute vor allem für kleinere bis mittelständige Entwicklerstudios eine Chance, ein Werk transmedial zu publizieren.
Ein Beispiel dafür ist das Spiel „The Mummy: Demastered” zum gleichnamigen Film mit Tom Cruise aus dem Jahr 2017. Das Pixelabenteuer der amerikanischen Metroidvania-Experten WayForward ist ein klassischer 2D-Plattformer. Der Spieler steuert einen Soldaten der geheimnisvollen Organisation Prodigium durch düstere Höhlen, Wälder und Wüstenlandschaften. Mit der Handlung des Blockbusters korrespondiert das Werk nur selten. Trotzdem erschien die Adaption zeitnah zum Kinostart.

Adam Tierney, Spieleentwickler und CBO beim Studio WayForward, erinnert sich im Frühling 2023 zurück an die Anfänge des Projekts: „Wir schlugen dem Filmstudio Universal die Idee eines Demasters vor, auf die sie aus mehreren Gründen sehr aufgeschlossen reagierten.” Zum einen sei die Ästetik eines Pixelgames im Vergleich zu klassischen 3D-Adaptionen, die schnell altbacken erscheinen können, zeitloser. Zum anderen lassen sich Pixel-Art-Spiele vergleichsweise schnell produzieren, um rechtzeitig zum Release des Films fertig zu sein. Trotz kleinem Spiel wollte das Studio laut Tierney aber nicht auf filmreife Momente verzichten: „Universal hat uns während der Entwicklung Material aus dem Film zur Verfügung gestellt, was sehr hilfreich war. Im Spiel gibt es, ähnlich wie in den Ninja Gaiden-Games auf dem Nintendo Entertainment System (NES), aufwendig produzierte Pixelzeichnungen.” Unter anderem vor Bosskämpfen gebe es darüber hinaus einige Zwischensequenzen.
Universal hat uns während der Entwicklung Material aus dem Film zur Verfügung gestellt, was sehr hilfreich war.
Adam Tierney, Way Forward – The Mummy Demastered
Zudem wird das Spiel immer wieder von Funksprüchen des Prodigium-Leiters Dr. Henry Jekyll unterbrochen, der im Film von Russell Crowe gespielt wird. Die Dialogboxen mit ihrem realistischen Porträt an der Seite erinnern dabei an die Mission Briefings aus der „Metal Gear”- und „Metal Gear Solid”-Reihe.
Die Mischung aus Film und Metroidvania kam gut an. Kritiker und Spieler vergaben überwiegend positive Wertungen, die in vielen Fällen sogar den nicht ganz so gelungenen Film mit Leichtigkeit überflügelten. Daher verwundert es nicht, dass das Studio auch in Zukunft an ähnlichen Projekten interessiert ist. „Wir können im Moment noch nichts verraten, da wir uns in Gesprächen mit den Besitzern der Marken befinden. Aber wir hoffen, dass es in den kommenden Jahren mehr Demasters von uns geben wird.”
Auch in Deutschland werden aus Filmen 2D-Videospiele
Dabei sind Demasters nicht nur im englischsprachigen Raum ein Thema. Auch in Deutschland haben Pixelabenteuer zu Kinofilmen schon Ableger gefunden. Die Entstehungsgeschichte des Spiels zum Film „Die Känguru-Verschwörung”, der wiederum selbst auf Textsammlungen des deutschen Autors, Liedermachers und Kabarettisten Marc-Uwe Kling basiert, ist dabei so unkonventionell wie die Vorlage selbst. Ursprünglich sollte das Produktionsstudio Tunermaxx um Entwickler Kalle Max Hofmann für den Film nur einige zusätzliche visuelle Retuschen und Verbesserungen anfertigen. Das Filmstudio hatte aber noch mehr im Sinn und fragte bei den Entwicklern nach einer animierten Hüpfspielsequenz für das Leinwandabenteuer, die das titelgebende Känguru durch eine Art urbanes Retro-Jump’n’Run springen lässt.

„Der Spielehappen hat Marc-Uwe Kling so gut gefallen, dass er gefragt hat, ob man daraus nicht auch ein vollumfängliches Spiel machen könnte”, erzählt Hofmann. Gesagt, getan. Das Studio plündert das Firmenkonto und versucht das Spiel aus Eigenmitteln zu finanzieren. „Es war eine bescheidene Summe, die nicht einmal ganz gereicht hätte, um unsere drei Mitarbeiter auch nur ein Vierteljahr in Vollzeit daran zu setzen.” Durch eine Förderung des Medienboards Berlin-Brandenburg können die Spielemacher dann aber doch noch sieben Monate bis zur Fertigstellung an dem Game arbeiten. Und trotz knappem Zeitbudget scheint das Ergebnis zu gefallen. Im Juni 2023 finden sich auf der Plattform Steam zum Spiel 43 Rezensionen, von denen 41 einen Daumen nach oben geben. Auch von anderen Kennzahlen zeigt sich Hofmann beeindruckt: „Die angezeigte Spielzeit bei den Steam-Rezensionen liegt oft bei fünf, sechs oder sogar zehn Stunden.”
Der Spielehappen hat Marc-Uwe Kling so gut gefallen, dass er gefragt hat, ob man daraus nicht auch ein vollumfängliches Spiel machen könnte
Kalle Max Hofmann, Tunermaxx – Die Känguru-Verschwörung: Das Spiel zum Film
Enttäuscht ist Hofmann nur von einigen Kommentaren auf Plattformen wie YouTube, Facebook und Twitter, die dem Spiel unterstellen würden, ein seelenloses Kommerzprodukt zu sein. Die Vorurteile gegenüber Spielen zum Film scheinen gemeinsam mit den Games überlebt zu haben. Tot oder verschwunden ist die Spielegattung damit aber keinesfalls.